Der Pädagoge

„Alles, was lehrbar ist, kann man ihnen [den Schülern] beibringen, aber das andere muss geweckt werden, dass es dann sinnlich verwendet wird, dass es erfahren, erlebt wird (…).“[1] Dies bildete gewissermaßen einen der Leitsätze von Heinz Liers während seiner Zeit im Schuldienst. Für ihn gab es im Kunstunterricht auf der einen Seite „Disziplinen“, die lehrbar waren, auf der anderen Seite die Vermittlung einer sinnlichen Wahrnehmung von Kunst. Diese Ermutigung, sich des Sehens, des Kunstgenusses als Bereicherung des Lebens bewusst zu werden, war für Liers die wichtigste Aufgabe eines Kunstpädagogen.
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Beim Zeichnen (Varel – Schule), 1967, Kugelschreiber, 12,1 x 15,4 cm

Heinz Liers kam nicht als ausgebildeter Kunsterzieher an die Schule, sondern als Künstler. Wenn er seine Anfänge im Schuldienst beschreibt, wird deutlich, dass er sozusagen ins kalte Wasser geworfen worden war: „Ich habe meine Geschichte ganz für mich erfinden müssen. Ich bin zwar Maler, aber das hat seine eigenen Gesetze und die konnte ich nicht übertragen.“[2] Aus wirtschaftlichen Gründen war er darauf angewiesen, im Schuldienst zu arbeiten, doch war die Tätigkeit für ihn weit mehr als Pflichterfüllung. Liers hat es verstanden, in den Schülern ein Interesse für Kunst und die eigene Kreativität zu wecken. Neben der sinnlichen Wahrnehmung hat er ihnen dafür das Handwerkszeug künstlerischen Arbeitens an die Hand gegeben. Für ihn gab es eine sehr effiziente Vorgehensweise, um mit den Schülern gemeinsam zu freien Ergebnissen zu kommen. Das gegebene Thema wurde offen formuliert und durfte frei umgesetzt werden innerhalb strukturierter Arbeitsschritte, die Liers komprimiert so beschrieb: deckend malen, Strukturen entwickeln, alles auf der Fläche verteilen und aufbauen, Farbe und Kontraste geben.[3] Nach diesem Prinzip vermittelte er das Gefühl für ein freies Sehen und Wahrnehmen.
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Schulhof, 1958, Öl auf Pappe, 39,5 x 59 cm

An die Wichtigkeit des Sehens und des Wahrnehmens im Unterricht von Liers erinnerte sich die aus Oldenburg stammende Schriftstellerin Anne Duden (*1942), die als Schülerin in seinen Kursen Modell saß[4], anlässlich einer Ausstellungseröffnung: „Ich begriff, dass Sehen etwas Aktives ist, eine Tätigkeit, ja sogar Arbeit; und eine Tätigkeit, die nicht aufhört, nicht ein für allemal etwas erreicht hat und es dabei dann belassen könnte, sondern die vielmehr immer neu anzusetzen und weiterzugehen, sich also wachzuhalten hat. (…) Dann hörte ich (…), was Sehen hervorbrachte, was es ‚tat‘, wenn Heinz Liers zu den einzelnen Kursteilnehmern ging und ihre Arbeit wieder und wieder kommentierte und korrigierte; wie jede Skizze, jeder Strich auf die Art und Weise des Sehens und so oder so Gesehenen zurückzuführen ist. Mit kongenialen, immer neuen und anderen Beispielen aus der Kunst, von Ausstellungen auch, die er gerade gesehen hatte und über die er als Kritiker ja in Zeitungen auch schrieb, mit seiner seltenen Fähigkeit also, durch Worte etwas ins Blickfeld zu rücken – wies er auf etwas hin und konturierte dadurch ein Bild, das erst im Entstehen begriffen war.“[5] Noch Jahrzehnte später war Anne Duden diese Arbeitsweise von Liers eindrücklich präsent.
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Tanz der Schüler, 1967, Kugelschreiber, 12 x 16,5 cm

Liers hat nicht nur gerne die Aufgabe übernommen, Kunst zu vermitteln, sondern aus seiner kunsterzieherischen Tätigkeit auch für seine eigene Arbeit Impulse gezogen. Ein Beispiel ist das Gemälde „Schulhof“, das 1958 kurz vor dem entscheidenden Schritt zum Seriellen entstand. Bereits in geometrische Formen aufgelöste Elemente vermischen sich mit gegenständlichen, wenn Liers das Treiben auf dem Schulhof festhält.

Auch der Sinn des Künstlers für Ironie und das gelegentlich aufblitzende Karikaturhafte lässt sich an seinen Skizzen, die im Schulzusammenhang entstanden sind, ablesen, wenn er zum Beispiel Schüler beim konzentrierten Zeichnen darstellt oder Körper in Tanzbewegungen. Immer wieder entstanden im Laufe der 1960er Jahre so auch noch figurative Skizzen, als er sich in seinem Hauptwerk längst der abstrakten Reihung zugewandt hatte.

 

[1] Zitat aus der Aufzeichnung eines Gespräches zwischen Heinz Liers und Prof. Reinhold Ebinger von der Pädagogischen Hochschule Esslingen 1981 zum Vergleich dreier Generationen Lehrer (Liers als Vertreter der Zeit Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre). Tonbandaufnahme aus dem Heinz Liers-Nachlass, Oldenburg.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Liers gab in den 1950er Jahren Kurse an der Volkshochschule Oldenburg, z. B. 1958 einen Kurs „Zeichnen nach dem Modell“ und einen Theoriekurs „Bildende Kunst unserer Zeit“ (Stadtarchiv Oldenburg, Best. V 50 Nr. 13).
[5] Anne Duden, unveröffentlichte Einführungsrede zur Ausstellung „Heinz Liers – Poetischer Reihenrhythmus mit Irritationen“, Staatsarchiv Ludwigsburg, 2002 (Heinz Liers-Nachlass, Oldenburg).